Seitenwechsel
Seitenwechsel
Er war Profisportler, Gründer und kurz vor dem Aus. Heute ebnet ETH-Alumnus Joel Roos als Investor und Philanthrop anderen den Weg.
Seine Maturaarbeit sei ein Schlüsselmoment gewesen, erzählt Joel Roos. Der Volleyballer, damals in der nationalen Juniorenförderung, entwickelte eine Maschine, mit der sich die Ballannahme effizienter trainieren liess. Ein Erfolg? Seine Mannschaft stieg jedenfalls auf.
Nach dem Studienabschluss in Robotik an der ETH Zürich war er ein weiteres Jahr lang Profispieler. Neben den vier Stunden täglichen Trainings verfolgte er eine Idee: Wieso nicht die Technologien, die er an der ETH kennengelernt hatte, für Sportlerinnen und Sportler nutzbar machen? Er entwickelte erste Prototypen, die die kamerabasierte Bewegungsanalyse für einen digitalen Fitnesscoach nutzten. Dessen Feedback sollte Trainierenden erlauben, ihre Bewegungsabläufe zu optimieren.
In kritischer Lage
Nach einigen Monaten begeisterte Joel Roos einen ehemaligen Kantikollegen, der an der ETH Informatik studierte, für seine Vision. Später sollte ein Absolvent der Universität St.Gallen zum Gründerteam hinzustossen. Ein gelungener Start und doch stand das ETH-Spin-off VAY 2020 vor dem Abgrund. Joel Roos hatte zu diesem Zeitpunkt zwei Jahre ohne Lohn gearbeitet, nachdem er die Volleyballkarriere zugunsten seines Start-ups beendet hatte. «Pilotprojekte verliefen nicht wie erhofft, die sehr tiefen Löhne unserer Mitarbeitenden konnten wir kaum mehr bezahlen. Nachdem unsere Seed-Finanzierung im letzten Moment zusammenbrach, weil ein Leadinvestor ausstieg, waren wir im November in einer sehr kritischen Lage.»
Deal or No Deal?
Doch kurz darauf begann der Monate zuvor gestartete Pivot, Start-up-Jargon für eine strategische Neuausrichtung, endlich Früchte zu tragen: VAY setzte nicht länger auf eine eigene Fitnessapp, sondern lizenzierte die Technologie für Hersteller digitaler Fitness- und Physiotherapielösungen.
«Wenn ich zwei Möglichkeiten habe, wähle ich immer die Challenge. Aufgeben ist nie eine Option.»
Joel Roos
Und plötzlich lief es rund. «Diese Hersteller hatten nach einer Technologie wie der unseren gesucht. Unser Produkt war ready und der Konkurrenz weit voraus. Wir rannten offene Türen ein.» Wie aus dem Nichts sei im März 2021 ein erstes Kaufangebot gekommen, der Auftakt zu einem halben Jahr «surrealer Verhandlungen».
Den Deal abgeschlossen hat das Gründerteam schlussendlich mit der amerikanischen Firma Nautilus. Joel Roos erinnert sich: «Da wir bereits mit Nautilus zusammenarbeiteten, wussten wir, dass wir uns mit der Firma wohlfühlen. Sie hat für uns ein sehr klares Bild davon gezeichnet, wie die gemeinsame Zukunft aussehen würde.» Dennoch seien die Verhandlungen «scary times» gewesen und eine Vollzeitbeschäftigung. Zeit, weitere Kunden zu gewinnen, gab es keine, gewissen Kunden musste das Start-up im Zuge der Verhandlungen mit Nautilus sogar die Zusammenarbeit aufkündigen. «Wenn der Deal nicht zustande gekommen wäre, hätte dies nicht nur einen Fehlschlag, sondern einen extremen Rückschritt für uns bedeutet.»
Im September war es dann endlich so weit, und das 80-seitige Dokument, das zuvor unzählige Male hin- und hergeschickt worden war, wurde unterzeichnet – und die jungen Gründer hatten auf einen Schlag ausgesorgt.
Und Joel Roos? Der hat sich zurück in die Arbeit gestürzt. Auf seinen Erfolg bildet er sich nicht allzu viel ein: «Wir hatten auch Glück – Nautilus hatte diese Kaufkraft, weil der Heimfitnessmarkt während Corona enorm gut lief.» Zugute hält er sich und seinem Team besonders die Resilienz, die dazu führte, dass VAY überhaupt noch da war, als das Angebot kam. «Wenn ich zwei Möglichkeiten habe, wähle ich immer die Challenge. Aufgeben ist nie eine Option.» Aktuell ist diese Challenge, innerhalb von Nautilus, einer Hardwarefirma mit über 40-jähriger Geschichte, die Digitalisierung aller Produkte voranzutreiben.
Mit Freude am Zurückgeben
Die ETH und ihre Jungunternehmerinnen und -unternehmer sind für Joel Roos heute eine Herzensangelegenheit: «Noch vor Kurzem stand ich auf der anderen Seite. Meine Mitgründer und ich haben sehr lange keine Finanzierung gefunden, weshalb wir uns beim Exit verpflichtet haben, künftige Unternehmergenerationen zu unterstützen. Wir wollen langfristig bis zu 50 Prozent ins Ökosystem zurückfliessen lassen.»
Die ETH als Hochschule auf Spitzenniveau mit bezahlbaren Studiengebühren sei im internationalen Vergleich einzigartig; doch bei der Start-up-Förderung sieht Joel Roos Luft nach oben. Deswegen engagiert er sich rege als Early- Stage Investor, unter anderem bei S2S Ventures, einer studentengeführten Venture-Capital-Firma, ist mit Nautilus Industriepartner des ETH AI Center und privat Gönner der ETH Foundation. Zu seinem philanthropischen Engagement für das geplante Centre for Students and Entrepreneurs meint er: «Die ETH hat mir extrem viel gegeben; für mich ist es ein No-Brainer, ihr etwas zurückzugeben. Vom Centre erwarte ich, dass es zahlreiche weitere ETH-Absolventen zu erfolgreichen Jungunternehmern macht.»