Uplift - Zukunftsweisende Bildung
Uplift - Zukunftsweisende Bildung
Porträt

Mitdenken statt abfragen

von Andrea Zeller
28. November 2025
ETH Zürich Foundation, Mitdenken statt abfragen
© ETH Foundation / Daniel Winkler
Porträt

Mitdenken statt abfragen

von Andrea Zeller
28. November 2025

Jakub Mačina forscht an der Schnittstelle von Natural Language Processing und Lernwissenschaften daran, wie grosse Sprachmodelle zu pädagogisch wertvollen Tutoren werden.

Wer eine Frage hat, stellt sie ChatGPT, Gemini oder Claude und schon erscheint die Antwort auf dem Bildschirm. Dies mag effizient erscheinen – kann aber auf Kosten eines nachhaltigen Lerneffekts gehen. Jakub Mačina, Fellow am ETH AI Center, widmet sich der Herausforderung, wie grosse Sprachmodelle (auf Englisch «large language models», kurz LLMs) programmiert werden müssen, damit sie Studierende individuell im Lernprozess unterstützen können.

Schrittweiser Aufbau für echtes Lernen

«Die Stärken von LLMs sind, Probleme zu lösen und Antworten zu liefern. In einem Lernsetting muss jedoch der Studierende das Denken übernehmen und sich aktiv mit der Materie auseinandersetzen», erklärt Jakub Mačina. Am ETH AI Center entwickelt er Modelle, die Schülerinnen und Studenten als kollaborative Partner zur Seite stehen sollen. Durch Denkanstösse und Anleitungen helfen sie, Schritt für Schritt Verständnis aufzubauen, und unterstützen so den Lernprozess, ohne die Problemlösung vorwegzunehmen.

ETH Zürich Foundation, Mitdenken statt abfragen
Tradition trifft Zukunft: Wilhelm Gimmis Wandbild «Lehren und Lernen» (1955) im Hauptgebäude der ETH illustriert den Wandel der Wissensvermittlung.
© ETH Foundation / Daniel Winkler

Dabei berücksichtigt Jakub Mačina wichtige pädagogische Konzepte der Lernforschung, etwa das sokratische Fragen – gezieltes Nachfragen zur Anregung der eigenen Denkfähigkeit – und produktives Scheitern. Bei dieser Methode, entwickelt von ETH-Professor Manu Kapur, werden Lernende mit herausfordernden Problemstellungen konfrontiert, die sie noch nicht lösen können. Das anfängliche Ausprobieren und Scheitern aktiviert Vorwissen und verstärkt den Aha-Effekt bei der Erklärung.

Jakub Mačina nutzt dafür einerseits Open-Source-Modelle wie Apertus der Swiss AI Initiative, andererseits baut er eigene Open-Source-Modelle wie TutorRL, das beim Lösen von Mathematikaufgaben unterstützt. Sein Fokus liegt aktuell auf der Sekundar- und der gymnasialen Stufe – seine Modelle sollen jedoch dereinst auch auf Universitätslevel für MINT-Fragestellungen nutzbar sein. Mit MathTutorBench entwickelte er zudem ein Werkzeug zum Benchmarking von Tutoring-Modellen, das nicht nur misst, ob ein Modell die richtige Antwort liefern kann, sondern vor allem, wie es lehrt.

Kollaboratives Miteinander von Mensch und KI

«LLMs fürs Tutorieren werden immer populärer», stellt Jakub Mačina fest. Grosse Player bieten zugeschnittene Modelle an, wie LearnLM von Gemini oder Study mode von OpenAI. Auch in der Schweiz gibt es verschiedene Anbieter, wie etwa die KI-App Tutor.new, entwickelt von zwei ETH-Studierenden. Gemäss Jakub Mačina sind dies spannende Anwendungsbeispiele. Meist sind sie jedoch eher als Nachhilfetools geeignet und nicht für den Einsatz während des Unterrichts. Diese Lücke möchte der Doktorand mit seiner Forschung schliessen. Findet die Schule von morgen also zu Hause mit dem KI-Tutor statt? Jakub Mačina verneint: «Es geht nicht darum, Lehrpersonen zu ersetzen, sondern ihre Arbeit effizienter zu gestalten.» Er sehe die KI-Modelle ergänzend; die Schülerinnen und Schüler können auf ihrem jeweiligen Niveau lernen und die Lehrperson hat mehr Zeit für individuelle Betreuung. Zudem können Erkenntnisse aus den Modellen genutzt werden, um den Unterricht zu optimieren, da ersichtlich ist, bei welchem Schritt im Lösungsweg Verständnisdefizite bestehen.

Für breiter zugängliche Bildung

Gemäss Jakub Mačina könnte der Faktor Mensch in Zukunft sogar wichtiger werden. LLMs verändern die Art, wie Wissen abfrag- und kontrollierbar ist. Er kann sich vorstellen, dass die Entwicklung vermehrt hin zu schriftlichen und mündlichen Prüfungen vor Ort geht, bei denen Prüflinge maschinell erzeugte Antworten kritisch reflektieren und Prozesse nachvollziehen müssen. «Wie früher, als Programmieraufgaben auf Papier gelöst werden mussten», lacht der Forscher, der an der Faculty of Informatics and Information Technologies STU in Bratislava Informatik studierte.

Bevor Jakub Mačina ans ETH AI Center kam, arbeitete er vier Jahre lang als Entwickler bei Exponea, einem auf die Auswertung von Kundendaten und Marketing Automation spezialisierten Tech-Start-up, das 2021 vom amerikanischen Anbieter Bloomreach akquiriert wurde. Zurück zur Forschung zog es ihn aufgrund seines Wunsches, sein Knowhow im Bereich Personalisierung im Bildungssektor einzusetzen. «Ich will dazu beitragen, dass hochwertige, individuelle Bildung kein Privileg für wenige bleibt», betont der Doktorand, der bereits 2016 als Praktikant am Paul Scherrer Institut ETH-Luft schnupperte.

Dank dem durch die Asuera Stiftung ermöglichten Fellowship kann er am ETH AI Center auf dieses Ziel hinarbeiten und interdisziplinär neue Lösungen und Werkzeuge entwickeln, die vielleicht in nicht allzu ferner Zukunft Eingang in die Bildungslandschaft finden – den unternehmerischen Background dafür besitzt Jakub Mačina jedenfalls bereits.

AI-Fellowship-Program

Forschungsstipendien für international herausragende Doktorierende und Postdoktorierende bilden einen der Hauptpfeiler des ETH AI Center. Die Schwerpunkte der ausgewählten Fellows reichen dabei von der Grundlagenforschung bis hin zu Anwendungen beispielsweise in Robotik, digitaler Gesundheit, Lernwissenschaften oder Sprachverarbeitung. Die Fellowships werden zu einem grossen Teil durch Donationen ermöglicht.

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