«Spitzenforschung ist ähnlich wie Spitzensport»
Als Skirennfahrerin und Olympiasiegerin hat Dominique Gisin ihre Grenzen immer wieder neu verschoben. Im Gespräch verrät sie, weshalb sie den Sprung von der Skipiste in die Physikvorlesungen an der ETH Zürich machte und heute die Hochschule philanthropisch fördert.
Olympiasiegerin, Pilotin und Physikerin: Du verfolgst eine beeindruckend vielseitige Karriere. Was treibt dich an?
DOMINIQUE GISIN: Als Athletin ist einem früh bewusst, dass der Spitzensport nicht die letzte Karrierestation ist. Ich bin sehr breit interessiert, und wäre ich nicht in einer so sportbegeisterten Familie aufgewachsen, hätte ich wohl auf eine akademische Karriere aspiriert. Mit dem Aviatik-Virus hat mich ein Freund angesteckt, als ich wegen Verletzungen nicht trainieren konnte.
Als Skirennfahrerin hast du die Weltspitze erreicht. Was waren die grössten Herausforderungen auf diesem Weg und wie hast du sie gemeistert?
Neun Knieoperationen, unzählige Reha-Termine und der anschliessende Trainingsbeginn bei null, um wieder an die Spitze zu gelangen. Geholfen hat mir die Liebe für den Sport – das Feuer war einfach grösser als der Widerstand. Solange ich das Gefühl hatte, mich verbessern zu können, war es für mich nicht vorbei.
Wie hat deine Sportkarriere dich in Bereichen fernab der Piste beeinflusst?
Sie hat mich gelehrt durchzuhalten und durchzubeissen. Ich war oft an einem Punkt, an dem ich nicht mehr an den Erfolg glaubte. 2014 in Sotschi mit der Goldmedaille auf dem Siegerpodest zu stehen, schenkte mir eine enorme Stärke, die mich bis heute begleitet. Bei Prüfungen hatte ich später stets die Uhr dabei, die mir mein Sponsor zum Olympiasieg schenkte. Sie erinnerte mich daran, dass ich schon ganz andere Herausforderungen gemeistert habe.
Wie hast du die Dynamik von Teamwork im Sport erlebt, im Vergleich zur Wissenschaft?
Skisport ist ein Einzelsport, der im Team betrieben wird. Eine spezielle Konstellation, die zu absurden Situationen führen kann – nach meinem ersten Weltcup-Podest tröstete ich beispielsweise meine damalige Konkurrentin und Zimmernachbarin. Es ist ein Balanceakt im Sport wie auch in der Wissenschaft: Die Konkurrenz ist gross, doch allein schafft man es nicht. In meinen Augen ist das in der Spitzenforschung ähnlich wie im Spitzensport. Die grösste Chance auf Erfolg besteht, wenn top Leute gut miteinander funktionieren.
Den Ski hast du später gegen Stift und Papier im Vorlesungssaal getauscht. Warum?
Was mir niemand glaubt, aber eine Tatsache ist: In der Schule hatte ich nirgends schlechtere Noten als im Sport. Mit Zahlen hingegen konnte ich schon immer gut umgehen und mein damaliger Physiklehrer hat meine Faszination für das Fach früh geweckt. Zwischen internationalen Wettkämpfen, Training und Pressekonferenzen fehlte mir aber schlicht die Zeit zum Studieren. Am Tag meines offiziellen Rücktritts aus dem Spitzensport habe ich meine Anmeldung für die ETH eingereicht. Ich wollte Physik in Zürich studieren, und da gab es für mich nur eine Hochschule, die in Frage kam.
Welche Momente deines Studiums sind dir bis heute in Erinnerung geblieben?
Unzählige! Besonders beeindruckt haben mich die herausragenden Dozierenden und die Lehrveranstaltungen auf höchstem Niveau – zum Beispiel von Professor Günther Dissertori oder Professor Rahul Pandharipande, um nur zwei Namen zu nennen. Erst im Studium wurde mir bewusst, wie viel Spitzenforschung an der ETH tatsächlich betrieben wird. Gerne erinnere ich mich auch an einen Gastvortrag von Nobelpreisträger Kip Thorne, der meine Begeisterung für Astrophysik weiter befeuerte.
Heute förderst du die ETH Zürich philanthropisch. Warum?
Die ETH war für mich die Tür zu einer faszinierenden Welt und hat mich in ihren Bann gezogen. Dass ich als fast 30-jährige Ex-Spitzensportlerin Zugang zu dieser Institution erhielt, in die Wissenschaft eintauchen und die jüngsten Fortschritte in der Forschung mitverfolgen durfte und darf, empfinde ich als riesiges Privileg. Ich finde es wichtig, dass dieser breite Zugang offenbleibt – auch dank niedriger Semestergebühren und Stipendien. So erhöht sich die Chance auf wissenschaftliche Pionierleistungen.
Viele junge Athletinnen und Studenten sehen dich als Vorbild. Hast du einen Rat für junge Menschen, die eine sportliche oder akademische Karriere anstreben?
Findet, was euch begeistert und Feuer in euch entfacht! Das bedeutet nicht, dass danach alles einfach wird – vermutlich im Gegenteil. Irgendwann kommt etwas zurück, davon bin ich fest überzeugt. Und ich denke, dafür steht auch meine Geschichte.