Heute gestalten, was bleiben soll

© ETH Foundation / Daniel Winkler
Heute gestalten, was bleiben soll
Annekäthi Bischoff und Jörg Wilhelm setzen sich sehr bewusst damit auseinander, welche gesellschaftlichen Impulse sie auslösen möchten. An der ETH fördern sie Studentinnen, die sich ein Studium aus eigenen Mitteln nicht leisten könnten.
Herr Wilhelm, Ihr Interesse an der Architektur führte Sie in den 1970er-Jahren an die ETH – was war das für eine Studienzeit?
JÖRG WILHELM – In Erinnerung geblieben ist mir besonders der ausgeprägte Protest gegen den Umzug auf den Campus Hönggerberg. Nachdem ich ein Jahr lang im Globus-Provisorium studiert hatte, fand auch ich es unpassend, dass man die Architekten ins Grüne versetzte. Anders als heute lebte es damals auf dem Campus nicht. Beeindruckt haben mich auch Lehrpersonen mit einer humanistischen Haltung.
Wie ist es nach langer beruflicher Tätigkeit für das Hochbauamt der Stadt Bern zum erneuten Kontakt mit der ETH gekommen?
JW – Lassen Sie mich etwas ausholen: Mein Grossvater beziehungsweise seine Firma Nago in Olten hat 1927 das Kakaogetränk Banago erfunden, das bis in die 80er-Jahre Kultstatus genoss. Neben unternehmerischem Geschick wiesen sowohl mein Grossvater als auch mein Vater eine ausgeprägte soziale Ader auf. So errichtete mein Grossvater schon in den 30ern eine Pensionskasse und unterstützte unter anderem den Frauenverein mit grösseren Spenden, während mein Vater viel Freiwilligenarbeit leistete. Meine Frau und ich haben keine Kinder, finanziell geht es uns gut. So beschäftigten wir uns intensiv mit der Frage, was von uns weiterlebt, wenn wir einmal nicht mehr da sein werden. Für uns war klar, dass unser Vermögen wirksam werden soll, und zwar im Sinne der Werte der Familie. Neben eigenen Stiftungen realisieren wir dieses Ziel mit einem Namensfonds bei der ETH Foundation. Benannt nach der einstigen Werbefigur von Banago fördert der Nagoli-Fonds Studierende, die sich ein Studium an der ETH andernfalls nicht leisten könnten, und zwar vor allem Studentinnen.
«Mit unserem Namensfonds sind wir von Administrativem entlastet, können uns aber dennoch effektiv für einen selbst gewählten Zweck engagieren.»
Gönner ETH Foundation
Welchen Vorteil sehen Sie in einem eigenen Fonds bei der ETH Foundation?
JW – Aus unserer eigenen Stiftungstätigkeit wissen wir, wie viel Arbeit es bedeutet, Anträge zu prüfen und darüber zu entscheiden, und wie viel Administration damit einhergeht. Mit unserem Namensfonds sind wir davon entlastet, können uns aber dennoch effektiv für einen selbst gewählten Zweck engagieren. Die ETH Foundation stellt ein professionelles Reporting sicher und organisiert auf Wunsch Begegnungen mit geförderten Talenten.
Frau Bischoff, Sie kommen ursprünglich aus der Pflege, waren danach als Beraterin im Gesundheitswesen tätig und daneben immer in der Freiwilligenarbeit aktiv – weshalb?
ANNEKÄTHI BISCHOFF – Freiwilligenarbeit ist der Kitt unserer Gesellschaft. Sie ist ein Zeichen von Wohlstand, denn sie ist ein Beitrag, den ich an die Gesellschaft leiste, ohne dass ich unmittelbar etwas zurückerhalte; ein Engagement, das ich vielmehr in einen grossen Umlauf einspeise. Auch in meinem Elternhaus hat man immer Freiwilligenarbeit geleistet, ich selbst habe mit 16 Jahren damit begonnen. Aktuell leite ich ein Singangebot für ältere Menschen. Für diese bedeutet das gemeinsame Singen einen Moment der Selbstwirksamkeit, der nicht von Defiziten geprägt ist, eine grosse Freude.
Sie lernen die ETH erst jetzt aufgrund Ihres Engagements kennen – was ist Ihr Eindruck?
AB – Ich komme an der ETH mit Themen in Berührung, die ich faszinierend finde und sehr gut nachvollziehen kann, wie etwa Sozioarchitektur oder zirkuläres Bauen. Wir kennen diese Themen aus einem eigenen Bauprojekt von der praktischen Seite, an der ETH sehen wir nun den wissenschaftlichen Teil. Das Forschen am Fortschritt finde ich beeindruckend: Man muss über Grenzen hinausdenken, um Entwicklung zu ermöglichen, und das geschieht hier.
Erzählen Sie von Ihrem Bauprojekt!
JW – Beim 70-jährigen Elternhaus meiner Frau mit zwei kleinen Wohnungen auf grosser Parzelle bestand Handlungsbedarf. Unsere Vision war, ein Projekt zu konzipieren und zu realisieren, das konsequent im Sinne der Kreislaufwirtschaft, Barrierefreiheit und zudem generationenverbindend funktioniert. Ein Schlüssel war das Bauen mit Massivholz. Es hat uns gereizt, die Idee der Zirkularität bis hin zu leimfreien Küchen zu verfolgen. Nun sind fünf von sechs Einheiten vermietet, das Studio behalten wir frei. Wir wollen es zu Demonstrationszwecken verwenden können, denn unser Beispiel soll Schule machen.
Einen Meilenstein haben Sie also gerade erreicht, was kommt als Nächstes?
AB – Mit diesem Bauprojekt stiessen wir letztes Jahr an unsere Grenzen. Nun wollen wir es etwas ruhiger angehen und mehr gemeinsam im Hier und Jetzt unterwegs sein. Auch unsere eigenen Stiftungen und mein Projekt «Singen kennt kein Alter» sollen wieder mehr Aufmerksamkeit bekommen.

© ETH Foundation / Daniel Winkler