«Wir müssen jetzt geschickt agieren!»
ETH-Professor Renato Renner ist einer der weltweit führenden Theoretiker in den Quanteninformationswissenschaften.
Für das «Uplift»-Magazin ordnet er aktuelle Entwicklungen ein.
Sie haben in den 90er-Jahren an der ETH studiert – wo standen die Quanteninformationswissenschaften damals?
RENATO RENNER – Wie an den allermeisten Hochschulen gab es das Gebiet an der ETH damals noch nicht. Der inzwischen emeritierte Professor für Theoretische Physik Klaus Hepp hat, sehr vorausschauend, immerhin ein Seminar dazu angeboten. Ich erkundigte mich, was zu tun sei, wenn ich mich damit beschäftigen wollte. Hepp gab mir den Tipp, mich an den Informatikprofessor Ueli Maurer zu wenden, der sei sehr offen für neue Themen. War er tatsächlich – so offen, mich als Doktoranden anzunehmen. Er wisse wenig über Quanteninformation, würde aber gerne etwas darüber lernen, meinte er. (Lacht.)
Sie sind Vater von vier Kindern – wie erklären Sie denen, womit Sie sich beruflich beschäftigen?
Den beiden Jüngeren sage ich einfach: Ich mache Forschung – theoretische Forschung. Dies bedeutet, in Gedanken dahin zu gehen, wo noch nie jemand war. Ich erkläre ihnen dann, dass wenn man bei Google Maps immer weiter reinzoomen würde, etwas Faszinierendes passiert: Plötzlich gelten ganz andere Gesetze. Gesetze, die so anders sind als alles, was wir kennen, dass man sich geradezu in einer neuen Welt wähnt. Nur schon dass sich jedes Ding an einem Ort befindet, stimmt in dieser «neuen» Welt nicht mehr.
Was zur Frage führt, wieso die Welt, wie wir sie aus unserem Alltag kennen, nicht auch diesen andersartigen Gesetzen gehorcht?
Hierzu gibt es zwei Sichtweisen: Eine Annahme ist, dass die Gesetze der Quantenphysik für grosse Objekte wie etwa eine Kaffeetasse, wo ganz viele Teilchen zusammenkommen, nicht mehr gelten. Die Gegenhypothese ist, dass auch eine Kaffeetasse diesen Gesetzen gehorchen muss. Wir können mangels geeigneter Messinstrumente einfach kein Experiment dazu durchführen. Was wir jedoch machen können, sind Gedankenexperimente: Was wäre das Resultat, wenn man diese Geräte hätte? Wie die meisten Physiker meiner Generation glaube ich, dass die Gesetze der Quantenphysik auch im Grossen gelten; mit allen Konsequenzen, beispielsweise dass ich theoretisch an zwei Orten sein könnte. Meine ganze Forschung kreist im Prinzip darum, diese «Glaubensfrage» in eine wissenschaftlich zu klärende Frage zu überführen. Der Gültigkeitsbereich der Quantenmechanik ist für mich die zentrale Frage überhaupt.
Und was ist der konkrete gesellschaftliche Nutzen der Quantenwissenschaften?
Wenn wir ehrlich sind, muss man sagen, dass heutige Anwendungen bescheiden sind. Anders ist es, wenn wir nach ihrem Potenzial fragen: Dieses ist riesig! Doch wir wissen noch nicht, was die «Killer-Anwendung» sein wird. Die Situation ist vergleichbar mit derjenigen vor 80 Jahren, als primitive Computer entwickelt wurden. Wenn man damals nach deren Nutzen gefragt hätte, wäre niemand darauf gekommen, dass wir alle mal ein Handy im Hosensack herumtragen werden und damit alle möglichen Dinge tun können. Man muss sich klarmachen: Es fehlt uns momentan nicht nur die Hardware, sondern auch die Software. Das heisst: Wir brauchen nicht nur den Quantencomputer, sondern ein Heer von Quantensoftwareingenieuren. An der ETH haben wir nun begonnen, diese Leute auszubilden.
Weltweit werden enorme Summen in diese Forschung investiert. Wie positioniert sich die ETH in diesem Wettlauf?
Vor zehn Jahren war die ETH eine der wenigen Hochschulen, die in den Quantenwissenschaften breit aufgestellt waren. Wir sind nach wie vor führend, aber die Konkurrenz ist extrem gross geworden, von Kanada bis China. Wir sind momentan an einem kritischen Punkt und müssen geschickt agieren, um unsere Stellung zu halten! Dies kann nur in Zusammenarbeit mit Industriepartnern gelingen. Von diesen Partnerschaften profitieren im Übrigen auch die Studierenden: Wenn sie ein Praktikum etwa bei IBM Research absolvieren, können sie auf einem Quantencomputer programmieren; eine Chance, die ihnen die ETH allein nicht bieten könnte.
Weshalb verdienen die Quantenwissenschaften gesellschaftliche Aufmerksamkeit auch in Form von Philanthropie?
Wer sich hier engagiert, fördert die Grundlagenforschung, was zahlreiche Anwendungsgebiete weiterbringen kann. So ist die
Entwicklung neuer Medikamente enorm datenintensiv und Superrechner könnten ein «game changer» sein. Wer die Quantenwissenschaften unterstützt, beschleunigt somit die Problemlösung in vielen gesellschaftlich relevanten Bereichen gleichzeitig, nämlich indem er diesen neuartige und potenziell enorm mächtige Werkzeuge zur Verfügung stellt.