Das grosse Potenzial kleinster Materialien

Das grosse Potenzial kleinster Materialien
Mit dem ETH-Spin-off Chiral wollen Natanael Lanz und seine Mitgründer neue Massstäbe in der Verarbeitung von Nanomaterialien setzen. Im Blick: eine neue Generation von Computerchips.
Vor einem Jahr haben Sie gemeinsam mit Seoho Jung und André Butzerin Chiral gegründet. Welche Herausforderung geht das Spin-off an?
NATANAEL LANZ – 1965 stellte Gordon E. Moore, der Mitgründer von Intel, das mooresche Gesetz auf. Es besagt, dass sich die Anzahl von Transistoren auf Computerchips durch effizientere Prozesse und leistungsfähigere Komponenten etwa alle zwei Jahre verdoppeln wird, was schnellere und kleinere Computerchips ermöglicht. In den letzten Jahrzehnten hat sich die Prognose bewahrheitet. Nun stösst diese Entwicklung an ihre physikalischen Grenzen, denn die herkömmlichen siliziumbasierten Computerchips haben wohl bald ihre maximale Leistungsfähigkeit bei minimaler Grösse erreicht. Neuartige Materialien, sogenannte Nanomaterialien, eröffnen hier neue Möglichkeiten, sowohl für die Weiterentwicklung von Computerchips, «More Moore», als auch für neuartige Transistoranwendungen im Quantum- und Sensorbereich: «More than Moore». Unsere Technologie unterstützt diese Entwicklungen.
Was bedeutet dies konkret?
Wir stellen Transistoren aus Kohlenstoffnanoröhrchen her. Das Nanomaterial, auch «carbon nanotubes», kurz CNT, genannt, besteht aus einer aufgerollten Schicht Kohlenstoffatome. Es hat eine sehr hohe elektrische Leitfähigkeit und grosses Potenzial für neuartige Anwendungen in Computer oder Sensortechnologie, da viel leistungsfähigere und sparsamere Transistoren hergestellt werden können als aus Silizium. Bisher ist es schwierig, diese herzustellen; vor allem die präzise Platzierung der extrem kleinen Materialien und die potenzielle Verunreinigung im Herstellungsprozess stellen die Industrie vor grosse Herausforderungen. Wir stellen die Röhrchen selbst her, wählen mittels künstlicher Intelligenz die besten Exemplare aus und haben ein eigenes robotisches Montagesystem entwickelt, um diese schnell und automatisiert in die Transistoren zu integrieren.

© ETH Foundation / Daniel Winkler
«Unsere Technologie hat das Potenzial, die Verwendung von Nanomaterialien in der Halbleiterindustrie stark zu beschleunigen.»
Wer sind die Kunden von Chiral?
Aktuell ist unsere Technologie hauptsächlich für einen Nischenmarkt interessant. Wir beliefern Labors und Corporate Research Center, die an Quantentechnologie forschen. Als nächsten Schritt wollen wir unseren Roboter weiterentwickeln, damit wir ihn Kunden für ihre eigene Produktion zur Verfügung stellen können. Unser langfristiges Ziel ist neben dem Markt für Quantum- und Sensortechnologie die Zusammenarbeit mit den wichtigen Playern im Bereich von Computerchips – wir wollen dazu beitragen, dass zukünftige Chips, die auf Nanomaterialien basieren, für den kommerziellen Gebrauch produziert werden können.
Wann wurde der Grundstein für das Spin-off gelegt?
Chiral ist aus einem Forschungsprojekt der Empa, der EPFL und der ETH entstanden. Gemeinsam mit 15 weiteren Personen arbeiteten wir als Doktoranden über drei Jahre daran, den existierenden Herstellungsprozess von Nanotransistoren zu skalieren. Als das Forschungsprojekt endete, war meinen Mitgründern und mir klar, dass diese Arbeit nicht einfach in einer Schublade verschwinden darf. Nach intensiven Marktanalysen und Gesprächen mit unseren Professoren entschieden wir, die Technologie zur Marktreife weiterzuentwickeln.
Wie gross war der Schritt von der Forschung zum Produkt?
Grösser als wir dachten. Juristische Fragen zur Gründung, technisches Vorgehen – es gibt viele Hürden zu überwinden. Mir wurde rasch bewusst, wie wichtig ein solides Team, die Unterstützung durch unsere Professoren und externe Expertinnen und natürlich das Pioneer-Fellowship-Programm sind. Das Programm erlaubte uns, unsere ganze Zeit und Energie in die Weiterentwicklung der Technologie für erste Kunden zu stecken.
Sehen Sie Ihre Stärke in der Forschung oder im Unternehmertum?
Mir gefällt das Zusammenspiel von Forschung, Technologie und Produkt. Als Forscher bewegt man sich oft in einer thematischen Blase. Mein Alltag ist heute sehr abwechslungsreich; am Vormittag tüftle ich an ultragenauen Bewegungen unseres Roboters, am Nachmittag steht ein Investorenmeeting an, und morgen scannen wir Bewerbungen für ein neues Teammitglied.
Gibt es Vorbilder in Ihrem Bereich?
Sensirion ging aus dem Vorgängerinstitut des Micro- und Nanosystems Lab hervor, aus dem auch Chiral kommt. Moritz Lechner und Felix Mayer haben gezeigt, dass es möglich ist, eine Technologie nach dem Studium erfolgreich zu kommerzialisieren. Durch die ETH Foundation knüpften wir Kontakt und erhielten wertvolles Feedback. Ihr Erfolg machte uns zudem bewusst, wie weit die Gründerszene an der ETH und in der Schweiz gekommen ist. Früher war die Investorensuche als Spin-off sehr schwierig. Heute ist der Zugang da, wenn die Vision stimmt und du die Leute für dein Produkt begeistern kannst.
Pioneer-Fellowship-Programm
Das Programm fördert herausragende, unternehmerisch ambitionierte Talente aus der Forschung auf dem Weg zum marktreifen Produkt. Eine Expertenjury vergibt jedes Jahr 10 bis 15 Pioneer Fellowships. Diese werden von zahlreichen Stiftungen, Unternehmen und von über 200 Privatpersonen unterstützt. Die ETH Zürich möchte das Programm weiter ausbauen, damit noch mehr junge Forschende bis zu 150 000 Franken, Coaching und die Chance erhalten, ihre Forschungsresultate bis zur kommerziellen Anwendung weiterzuentwickeln.