Hoffnung bei Hirnerkrankungen

Hoffnung bei Hirnerkrankungen
Ob sich die neue ETH-Technologie mit hohem Therapiepotenzial durchsetzt, hängt auch davon ab, ob sich Partnerschaften dafür schliessen lassen.
Schätzungen zufolge leidet fast ein Sechstel der Weltbevölkerung an einer Hirnerkrankung der einen oder anderen Form. Die Behandlung neurologischer und neuropsychiatrischer Störungen stellt trotz Fortschritten in den Neurowissenschaften eine grosse Herausforderung dar. Dabei beruhen die meisten Hirnleistungsstörungen auf beeinträchtigten Funktionen in ganz bestimmten Hirnregionen.
Erfahrungen mit der tiefen Hirnstimulation zeigen, dass die gezielte Beeinflussung der jeweiligen Hirnregionen selbst gravierende Störungen wie Depressionen oder Angstzustände, Epilepsie oder Parkinson drastisch lindern kann. Diese Therapien sind jedoch invasiv und werden nur in sehr schweren Fällen eingesetzt. Meistens werden deshalb Medikamente systemisch verabreicht. Diese wirken aber nicht nur in den gewünschten Hirnregionen, weshalb die Dosis entsprechend reduziert werden muss, was leider meist zu einem Therapieversagen führt.
Innovative Technologie
Die Gruppe Neurotechnologie unter der Leitung von Professor M. Fatih Yanik am Institut für Neuroinformatik an der ETH Zürich hat nun, nach zehn Jahren intensiver Forschung, eine Technologie entwickelt, die es erlaubt, Medikamente mit Millimeterpräzision und in sehr hohen Konzentrationen gezielt in bestimmte Hirnareale zu befördern. Die lokale Medikamentenkonzentration in den Zielregionen des Gehirns kann bis zu 1300-mal höher sein als bei der heutigen systemischen Verabreichung.

© Professur für Neurotechnologie / Ella Maru Studio
Erste Studien an Kleintieren haben gezeigt, dass chronische Angstzustände so ohne Nebenwirkungen beseitigt werden können. Dafür hat die Gruppe Medikamententräger entwickelt, die über Ultraschall gesteuert werden können. Nach der Injektion dieser Träger ins Blut wird eine ebenfalls neu entwickelte zweistufige Sequenz von fokussiertem Ultraschall auf die gewünschten Ziele im Gehirn gerichtet. Die erste Sequenz von Ultraschallwellen aggregiert die Wirkstoffträger millimetergenau in der anvisierten Hirnregion und erzielt so eine lokal hohe Wirkstoffkonzentration. Bei der zweiten Sequenz wird der Wirkstoff aus dem Träger freigesetzt, der dann lokal die intakte Blut-Hirn-Schranke überwindet.
Von der Machbarkeitsstudie zum ersten Patienten
Um diese vielversprechende Technologie voranzutreiben, ist eine präklinische Studie an Schafen geplant. An dieser Studie beteiligt sind neben Fatih Yanik und seinem Team die Digital-Trial-Intervention-Plattform (dTIP) der ETH, die Good Manufacturing Practice Facility der ETH sowie der Universität Basel und des Universitätsspitals Basel, die Vetsuisse-Fakultät der Universität Zürich sowie die Neurochirurgie am Universitätsspital Zürich. Nach der präklinischen Studie sollen klinische Studien an Patientinnen und Patienten starten. Dafür ist bereits eine Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Epilepsie-Klinik in Zürich in Planung.
Potenziell revolutionäre Wirkung
Die beschriebene Technologie hat das Potenzial, die Behandlung neurologischer und neuropsychiatrischer Erkrankungen zu revolutionieren. So ist es denkbar, dass in Zukunft Medikamente gezielt in jedes beliebige Hirnareal transferiert werden können und dort dank hoher lokaler Konzentration eine stärkere Wirksamkeit bei weniger Nebenwirkungen erzielen.
Die Innosuisse und der Schweizerische Nationalfonds haben das Projekt 2022 mit einem Bridge Discovery Award ausgezeichnet. Um den klinischen Einsatz der Technologie zu beschleunigen, werden dringend weitere Mittel benötigt. Wir freuen uns auf den Dialog mit Partnerinnen und Partnern, die einer für unsere Gesundheit äusserst vielversprechenden Technologie zum Durchbruch verhelfen möchten.

«Als ETH-Alumna bin ich überzeugt, dass an der ETH immer wieder Innovationen gelingen, die echte Gamechanger sind.»
Daniela Bosshardt
Stiftungsrätin ETH Foundation