Gebaute Realität virtuell gestalten
Im Zentrum für erweitertes computergestütztes Entwerfen in Architektur und Bauingenieurwesen (Design++) erkundet die ETH neue Wege für die Bauindustrie. Die geschäftsführende Direktorin Danielle Griego gibt Einblick.
Wer steht hinter Design++, und wie trägt die Initiative dazu bei, den Wandel hin zu ressourcenschonenderem und effizienterem Bauen zu beschleunigen?
DANIELLE GRIEGO – Design++ ist an der ETH Zürich zwischen Architektur, Bauingenieurwesen und Informatik verortet. Insgesamt lehren und forschen über 50 Professorinnen, Wissenschaftler und Mitarbeitende in Projekten des interdisziplinären Netzwerks. Ein neues Leuchtturmprojekt, das sich damit auseinandersetzt, wie erweiterte Realität bei der Inspektion und Montage sowie dem Betrieb neue Wege zur Emissionsreduktion im Bausektor eröffnet, vereint beispielsweise die Expertise der Professuren von Robert Flatt, Catherine De Wolf, Bernd Bickel und vielen mehr. Mit unseren Aktivitäten wollen wir mithelfen, den ökologischen Fussabdruck der Bauindustrie zu verringern, ihre Produktivität zu erhöhen und gleichzeitig eine hohe Qualität unserer gebauten Umwelt sicherzustellen.
Mit welchen Mitteln verfolgen Sie diese Ziele?
Unser Fokus liegt auf der Entwicklung digitaler Methoden und Werkzeuge, die mithilfe künstlicher Intelligenz und erweiterter Realität Architektur und Bauingenieurwesen voranbringen. Eine wichtige Rolle kommt dabei unserem von Gramazio Kohler Research initiierten Immersive Design Lab zu, einem weltweit einzigartigen Ort, in dem wir umfassende Visualisierungen mit räumlicher 3D-Akustik verschmelzen und durch erweiterte Realität interaktiv in Architektur- und Bauingenieurprojekte eintauchen können. Dies kann eine virtuelle Begehung eines Gebäudes sein oder die intuitive Interaktion mit einem 3D-Entwurfsmodell durch Gesten oder Sprachbefehle. Ebenso wichtig sind der regelmässige Austausch und Abgleich mit Partnern aus der Industrie.
Wie gestaltet sich dieser Austausch?
Damit unsere Forschung ihre Wirkung in der Gesellschaft entfalten kann, muss sie in der Industrie verankert sein. Veranstaltungen wie das Symposium Future of Construction oder eine Seminarserie, die wir auch auf unserem Youtube-Kanal veröffentlichen, sind dafür wichtige Plattformen. Mit unseren strategischen Partnern Basler & Hofmann, Hexagon und Halter AG führen wir zudem regelmässig Gespräche und tauschen uns über die neusten technologischen Entwicklungen auf beiden Seiten aus.
Wieso braucht es diese Zusammenarbeit mit Partnern?
Dank ihnen können wir Design++ auf- und ausbauen! Ihr Engagement ermöglichte beispielsweise die Berufung von Bernd Bickel, Professor für Computational Design, und den Start eines Fellowship-Programms für Postdocs.
Gleichzeitig profitieren beide Seiten davon, wenn unsere Projekte im digitalen Entwerfen, Planen und Bauen für die Industrie von Nutzen sind und implementiert werden. Bauprojekte sind meist sehr knapp bemessen, zeitlich und finanziell. Oft bleibt dadurch die Innovation auf der Strecke, denn neue Technologien und Prozesse kosten zu Beginn mehr Zeit und Geld. Firmen wie unsere strategischen Partner, die bereit sind, Risiken einzugehen und Innovationen mitzutragen, sind unabdingbar, um nachhaltiges Bauen voranzubringen.
Wie könnte eine konkrete Anwendung der Forschung von Design++ aussehen?
Eine vielversprechende Entwicklung ist der KI-Design-Co-Pilot zur Unterstützung von Brückendesign, ein Kooperationsprojekt von ETH-Professor Walter Kaufmanns Gruppe und dem Swiss Data Science Center. Das Software-Tool, das auf Deep Learning basiert, funktioniert strukturunabhängig und unterstützt Ingenieure im Entwurfsprozess. Durch die Kombination der Rechenleistung künstlicher Intelligenz mit menschlicher Kreativität und einer immersiven Nutzeroberfläche trägt der Design-Co-Pilot zur Entwicklung effizienter und zuverlässiger zukünftiger Strukturen bei. Dies wurde bei einer Trägerbrücke für Fussgänger in St. Gallen erprobt, in Zusammenarbeit mit Basler & Hofmann. Ein weiteres Beispiel ist das Projekt 7DayHouse, das Lösungen für die sehr hohe Nachfrage nach Wohnraum in städtischen Gebieten erkundet. Ziel ist, in einem Tag ein vollständig massgeschneidertes Haus zu entwerfen und gleichzeitig die Lieferkette für die Herstellung und Lieferung innerhalb von sieben Tagen zu gewährleisten. Das Team um die Professoren Daniel Hall und Benjamin Dillenburger arbeitet an KI-Designmethoden, die den Herstellungs- und Bauprozess, kollaborative KI und Mixed Reality einbeziehen. Für das Projekt werden digital hergestellte Brettsperrholzelemente (CLT) genutzt, und die Forschenden profitieren von der Erfahrung und dem Wissen der Erne AG Holzbau.
Wieso ist die ETH der richtige Ort, um innovatives Bauen voranzutreiben?
Das Potenzial digitaler Technologien für die Architektur- und Baubranche ist riesig, die Umsetzung steckt jedoch noch in den Kinderschuhen. Die ETH ist weltweit eine der Hochschulen mit den besten Ressourcen, was Infrastruktur und Know-how anbelangt. Das zeigt sich auch bei den Absolventinnen und Absolventen. Wenn wir zukünftige Ingenieurinnen und Architekten der ETH befähigen, konventionelle Planungs- und Bauprozesse zu hinterfragen und mithilfe digitaler Technologien Pionierarbeit zu leisten, können wir extrem viel bewegen.