«Extrem viel junges Potenzial»
ETH-Professor und Serial Entrepreneur Marco Hutter weiss, wo die grössten Chancen der Robotik liegen. Ein Besuch in seinem Lab.
Der Grossraum Zürich mit der ETH wird häufig als Silicon Valley der Robotik bezeichnet – zu Recht?
MARCO HUTTER – Wir haben uns tatsächlich einen sehr guten Namen erarbeitet. Nebst der Forschung, die an der Weltspitze mitspielt, gibt es hier viele Robotik-Start-ups, aber auch grosse Unternehmen gerade im IT-Bereich, die in die Robotik eingestiegen sind. Die Schweiz war im Bereich Maschinenindustrie und Automatisierung schon immer führend, und Robotik ist nichts anderes als die Weiterführung hin zur Autonomisierung.
Mit dem RobotX Center will die ETH in den kommenden Jahren ihre Position im Bereich Robotik ausbauen. Wie genau?
Zum einen durch eine weitere Stärkung der Forschung, und zwar über die Disziplinen hinweg. Zum anderen mit der Unterstützung der Industrie, die je länger je mehr realisiert, dass Robotik eine Antwort auf sehr viele aktuelle Probleme sein kann, vom Fachkräftemangel über Nachhaltigkeit bis hin zur Ressourcenknappheit. ABB Schweiz, Hilti und die Credit Suisse sind bereits Partner und fördern gemeinsam neue Professuren und Projekte. Drittens wollen wir mit speziellen Programmen, in denen man nicht nur die Theorie lernt, sondern hands-on an Systemen arbeitet, die Ausbildung weiter fördern.
Ihr Robotic Systems Lab hat einen grossen Output an Start-ups wie ANYbotics, das den vierbeinigen Laufroboter ANYmal kommerzialisiert – wie funktioniert das Ökosystem?
Die Start-ups und ihre Ausstrahlung machen Zürich für Topstudierende noch attraktiver. Für unser Lab bedeuten sie, dass unsere Forschung nicht in einem Paper endet, sondern darüber hinaus einen Impact erzielt, was sehr motivierend ist. Es gibt zudem einen Feedback-Loop zwischen den beiden Seiten: So robustifizierte ANYbotics die Technologie, die in ANYmal steckt und hier einst entwickelt wurde. Als ich mein Doktorat machte, bauten wir erste Prototypen, welche immer sehr schnell kaputt waren. Durch unser Start-up ist ANYmal nun ein Produkt, welches zuverlässig funktioniert. Das Lab kann diese robusten und ausgereiften Systeme für Forschungseinsätze in schwierigem Gelände nutzen und so den Wissensstand weiterentwickeln. Wichtig auf dem Weg war ein Pioneer Fellowship der ETH. Wir konnten damit die Zeit bis zur Unternehmensgründung überbrücken, als die Technologie für Investoren noch nicht weit genug war.
2021 hat Ihr Team die DARPA Subterranean Challenge gewonnen, den wichtigsten Roboterwettbewerb der Welt. Was hat das für Sie bedeutet?
Einen fantastischen Erfolg! Nie zuvor wurde ein solcher Darpa-Wettbewerb von einer Gruppe mit dem Lead in Europa gewonnen. Dabei hatten wir fast ausschliesslich Schweizer Robotiksysteme im Einsatz. Der Gewinn hat auch dem Gebiet der Laufroboter nochmals einen Boost gegeben, zumal diese lange eher als Spielerei angeschaut wurden.
Ende letzten Jahres hat die ETH bekannt gegeben, dass das VBS ausgewählte Robotikprojekte unterstützt, welche Rettungs- und Sicherheitskräfte künftig in unbewaffneten Einsätzen nutzen könnten.
Robotik hat für Rettungs- und Aufräumaktionen, wie nach einem Unwetter oder Unfall, extrem viel zu bieten. Organisationen wie die Feuerwehr können aber nicht zehn Jahre lang Geld in geeignete Roboter investieren. Mit dem VBS arbeiten wir zusammen, um Technologie gemeinsam mit den Endnutzern zu testen. Damit sie verstehen, was es gibt, und damit wir verstehen, was es braucht. Jedes Jahr gehen wir eine Woche in ein Übungsdorf und testen unsere Systeme in Trümmerfeldern oder in Gebäuden mit radioaktivem Material. Ich bin überzeugt, dass wir schon in ein paar Jahren für echte Gefahrensituationen nützliche Roboter bauen können.
Was sagen Sie zu Kritik mit Blick auf mögliche kriegerische Anwendungen?
Wir sind uns dieser Problematik sehr bewusst, die im Übrigen für viele Technologien schon lange besteht. Wir sind deshalb transparent und verfügen über klare Richtlinien und Reglemente, auch für die Start-ups.
Wie könnte Robotik eines Tages unser alltägliches Leben verbessern?
Leider gibt es noch immer sehr viele Jobs, die so gefährlich sind, dass kein Mensch sie machen sollte, etwa in Minen. Diese erledigen besser Roboter. Gewisse Branchen finden zu wenig Leute, so die Baubranche. Auch hier können Roboter in die Bresche springen. Für die Landwirtschaft sind Roboter eine grosse Chance, gewinnbringender und nachhaltiger zu produzieren. Das bedeutet übrigens nicht, dass Roboter uns die Arbeit wegnehmen: Robotik kreiert viele neue Arbeitsplätze und wird mit einer gesellschaftlichen Umstrukturierung einhergehen. Und: Diese Woche hatten wir Tests mit einer gelähmten Person, die im Alltag stark eingeschränkt ist. Türen öffnen, etwas greifen: Robotik bietet die Perspektive, solchen Menschen das Leben bedeutend zu erleichtern.
Weshalb sind philanthropische Mittel für die Robotik gut eingesetzt?
Weil extrem viel junges Potenzial da ist, um das Gebiet weiterzutreiben; so bildet der Master in Robotik einen der grössten Pools an ETH-Studierenden und es gibt sehr viele Möglichkeiten, Forschung in ein Unternehmen umzusetzen. Aber: Robotik benötigt viel Zeit. Wenn man etwa eine App entwickelt, ist das Business viel einfacher und schneller skalierbar. In der Robotik brauchen wir einen sehr langen Atem, bis Systeme wirtschaftlich profitabel sein können. Zudem ist Robotik ein wichtiges Standbein für die Schweiz der Zukunft.
Was möchten Sie während Ihrer Forscherkarriere noch erleben?
Weltraumforschung fand ich schon immer spannend, jetzt ist sie gross im Kommen. Ich möchte unsere Technologie noch auf dem Mond oder dem Mars sehen.