«Kluge Köpfe sind wichtige Ressourcen für ein Land»
Vom Hörsaal zur Vorstandsetage: Im Interview spricht die Biotech-Unternehmerin Natascha Schill über ihren Werdegang und verrückte Ideen.
Mit welchen drei Worten würden Ihre besten Freunde Sie beschreiben?
NATASCHA SCHILL – Als Optimistin, sehr neugierig und als Menschenfreundin.
Wenn Sie auf Ihr Studium an der ETH zurückblicken, woran denken Sie zuerst?
An eine Welt, die aufgeht. Im Laufe des Studiums habe ich mich auf Biotechnologie spezialisiert und damit das Fachgebiet gefunden, das perfekt zu mir passt.
Studierten damals viele Frauen Biotechnologie an der ETH?
Ich war die Einzige! Die Dozierenden haben den Unterricht jeweils mit der Begrüssung: «Guten Tag meine Dame und Herren» gestartet. Man hat es sofort gemerkt, wenn ich gefehlt habe (lacht). Aber das hat mich nicht gestört.
Sie haben auf dem Campus Hönggerberg studiert.
Während meiner Studienzeit gab es viel weniger Gebäude als heute. Das HIL-Gebäude, in welchem schon damals Architektur und Bauingenieurwissenschaften gelehrt wurden, nannten wir unter uns den «Schoggi-Palast», wegen seiner braunen Farbe. Das Café darin war der «Zoo», weil die Architektinnen und Architekten sich so lässig kleideten. Biotechnologie wurde damals in einem der ältesten Gebäude gelehrt. Oft führten wir Experimente über Nacht durch, wo wir jede halbe Stunde eine Probe nehmen mussten.
Nach Ihrem Studium haben Sie an der EPFL doktoriert und dann eine Stelle bei Biogen in Boston angenommen. Wie kam es dazu?
Während ich an meiner Dissertation in Lausanne arbeitete, konnte ich an einer Summer School in Dänemark teilnehmen. Wie das Leben so spielt, habe ich dort meinen Ehemann kennengelernt. Nach seinem Doktorat wechselte er an das MIT, also bin ich nach Boston mitgegangen. Mich zog es in die Industrie, und Biogen hat mir ein Industrie-Post-Doc angeboten. Schliesslich bin ich zwanzig Jahre bei Biogen geblieben. Der innovative Spirit und die «Go-Do»-Mentalität erinnerten mich an die ETH.
Im Jahr 2001 sind Sie mit Ihrer Familie in die Schweiz zurückgekehrt.
Biogen hat eine Firma in der Schweiz übernommen. Mein Auftrag war, sie zu integrieren – am Schluss habe ich die Schweizer Filiale geleitet und wir haben vier Medikamente in der Schweiz registriert, ihre Vergütung verhandelt und sie lanciert. Bei drei davon war ich an der Entwicklung beteiligt. Ich konnte den Ärztinnen und Ärzten in der Schweiz also genau erklären, wie und wo sie hergestellt wurden. Es gibt nun einige sehr gute Medikamente im Schweizer Markt und es freut mich, dass ich dazu einen Beitrag geleistet habe.
Bis vor Kurzem waren Sie CEO des BioTech-Start-ups Encentrio Therapeutics.
Das war eine wunderbare und spannende Aufgabe. Meine Stärken liegen darin, verrückte Vorhaben umzusetzen, Projekte «from scratch» zu starten und Neues aufzubauen. Bei Encentrio Therapeutics kam genau das zum Zug. Fünf brillante Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wirkten bei diesem Spin-out mit. Eines unserer Labore war in Kalifornien, eines in Bellinzona und ich war hier in Zug. Im Sommer 2023 haben wir Encentrio Therapeutics erfolgreich verkauft.
Sie haben kürzlich das Student Project House, die studentische Werk- und Kreativstätte der ETH, kennengelernt. Was hat Sie daran begeistert?
Die Vielfalt und Fülle der Ideen. Egal wie verrückt die Idee ist, die Studierenden können es ausprobieren, sie werden ernst genommen und vielleicht wird etwas Grosses daraus. Ich glaube, eine der wichtigsten Ressourcen für ein Land sind seine klugen Köpfe und aussergewöhnlichen Ideen. Es macht mich stolz, dass die ETH weltweit an vorderster Front dabei ist.
Warum fördern Sie Talente?
Mit 19 Jahren und 20 Franken wanderte mein Vater in die Schweiz ein. Er hat hier ein Geschäft aufgebaut und in die Bildung seiner Kinder investiert. Ich bin sehr dankbar, dass ich an der ETH eine «top-notch» Ausbildung erhalten habe. Wie gut diese ist, habe ich vor allem im Austausch mit meinen Kolleginnen und Kollegen in Boston gespürt, die in Stanford, am MIT und in Harvard studierten. Ich konnte am gleichen Tisch sitzen und problemlos mitreden. Deshalb fördere ich Talente an der ETH. Ich finde, fehlende finanzielle Mittel dürfen nie eine Barriere für Bildung sein.